Montag, 6. Oktober 2014

Der Obernburger Mühlstein 2014 geht an Harry & Jakob

Die Freude ist groß, als Harry und Jakob (links) den Mühlstein von Jürgen Tillack entgegen nehmen, daneben Alicja Heldt, Vinzent Binders und René Sydow, die ihren Kollegen applaudieren.
Ein Einspalter mit Briefmarkenfotos war das Ergebnis der Veröffentlichung meines Manuskripts über den Kabarettwettbewerb am 4. Oktober in der Kleinkunstbühne Kochsmühle im schönen Obernburg. Leider wurde der Text aus Platzgründen auch noch gekürzt. Hier die Zusammenfassung in voller Länge mit allen Fotos.

Es war keine leichte Entscheidung, die das fünfköpfige Jurorenteam am Samstagabend in der Obernburger Kochsmühle zu treffen hatte. Beim diesjährigen Wettbewerb um den Obernburger Mühlstein mit insgesamt fünf Beiträgen von sechs Nachwuchskabarettisten wurde eine Menge Hochkarätiges geboten. Doch letztlich waren sich Publikum und Jury einig: Den 15 Kilo schweren Kleinkunstpreis durfte das Duo Harry und Jakob mit nachhause nehmen.  Die beiden Künstler reimten sich mit Witz, Schlagfertigkeit  und überzeugender Performance in die Riege der mittlerweile 24 Mühlstein-Preisträger.

Mit ihren witzig gereimten Versen und einem gekonnten Auftritt überzeugen Harry Kienzler und Jakob Nacken als Harry& Jakob beim diesjährigen Kabarettwettbewerb um den Obernburger Mühlstein.

Spritzige Verse in vollendeter Metrik
Harry Kienzler und Jakob Nacken sind keine Unbekannten in der Kleinkunstszene. Mit ihren spritzigen Versen, die sie sich in vollendeter Metrik im Schlagabtausch zuwerfen, holten sie sich schon den baden-württembergischen Kleinkunstpreis. Am Samstagabend brillierten sie nicht nur mit ihrer gereimten Schauerballade von Hirsch und Jäger und einfallsreichen Pointen. Sie begeisterten zudem mit Spontanität und aus der Hüfte geschossener Improvisation.  So schufen sie Spontanreime auf Zuruf ein Epos  in mehreren Strophen mit dem vorgegebenen Satz „Obernburg liegt am Main“ und den eingestreuten Reimworten „Versäumnisurteil“ und „Xylophon“. Der letzte Satz, „Obernburg, du bist mein Glück“, erwies sich als Omen.  Als Jürgen Tillack vom Vorstand des Kochsmühlenvereins das Ergebnis der Juryentscheidung und der Publikumsauswertung bekannt gab und Harry und Jakob den gewichtigen Preis übergab, war das Glück der beiden perfekt.

Beinhartes politisches Kabarett bietet René Sydow.

Parforceritt durch die bundesrepublikanische Polit-Szene 
Fee Badenius, die im vergangenen Jahr den Wettbewerb in der Kochsmühle gewonnen hatte, führte charmant und liebenswert-frech durch den Abend, umrahmte die Moderation mit  pfiffigen Liedern  über die Liebe und das Leben und verkürzte das Warten auf die Entscheidung aufs Angenehmste. Von den Künstlern, die sich am Samstagsabend um die Gunst des Publikums und der Jury bewarben, wird man in Zukunft sicher noch mehr zu erwarten haben. Zum Beispiel von René Sydow, der mit einem Ausschnitt aus seinem Programm „Gedanken!Los“ intelligentes und messerscharfes politisches Kabarett bot. Seine Zunge benutzte er als Florett, mit der er sich durch die politischen Ränkespiele focht. Vom transatlantischen Freihandelsabkommen bis zu Waffengeschäften in Krisengebiete, von dümmlichen Fernsehsendungen („Jetzt ist mir klar, warum Fernsehen auch Kanal heißt“) bis zu Ursula von der Leyens Schmallippigkeit und Dirk Niebels Verbandelung mit Rheinmetall gestaltete er einen Parforceritt durch die bundesrepublikanische Polit-Szene.

Eine gehörige Portion Georg Kreisler blitzte bei Vinzent Binders durch. Der junge Österreicher überzeugte durch seine bitterbösen Liedtexte über den politischen Irrsinn und die tumbe Trägheit der Gesellschaft.  In einem seiner Lieder beklagte er, dass er als Veganer keine Chance hat, in eine rechtsradikale Partei aufgenommen zu werden: Veganer werden immer in die politisch linke Ecke gestellt! – Selbstredend als beinharte Satire zu verstehen. Die  Hamburger Deutsch-Polin Alicija Heldt präsentierte deftige Comedy, die dann richtig gut gefiel, als sie auf ihre anfangs inflationär eingestreuten zotigen Wortschöpfungen verzichtete. Wenn sie zu bildhaften Vergleichen wechselte, um die Unterschiede zwischen Mann und Frau aufzudröseln und Vorurteile als Schwachsinn zu entlarven wie „Alle Polinnen sind blond, haben hohe Wangenknochen und eine Stupsnase“, mit den Augen rollte und echte Empörung zeigte, weil mit dunklen Haaren und ausgeprägtem Riechorgan ausgestattet, war sie glaubwürdig und witzig zugleich.  

Macht’s Georg Kreisler nach: Nachwuchkabarettist Vinzent Binders.
Alicja Heldt klärt über die Unterschiede zwischen Mann und Frau auf.

Ein Schweizer mit Esprit
Als Schweizer, die in der Regel mit einem Gelassenheits-Gen ausgestattet sind und nicht gerade zu den Turbo-Artikulierern zählen, zeigte Alan Frei erfrischenden Esprit. Mit einer Spur Selbstironie und der Fähigkeit, aus dem Stand eine Pointe zu entwickeln und auf Zwischenrufe aus dem Publikum zu reagieren, erntete er viele Lacher und Zwischenapplaus. Den Status der Eidgenossen, nicht zu den Schnellsten zu zählen, kleidete er in Kalauer. Bezogen auf das Tempolimit auf Autobahnen in der Schweiz sagte er: „In Deutschland wird man geblitzt, in der Schweiz gemalt“.

Alain Frei ist kein Turbo-Artikulierer, aber ein flotter Schweizer.
Das Resümee des Abends: Drei Stunden gute Unterhaltung mit putzmunteren Kleinkünstlern, von denen man noch mehr sehen und hören möchte. Schlussendlich mit dem Duo Harry und Jakob ein würdiger Gewinner des Obernburger Mühlsteins.


Hintergrund: Der Obernburger Mühlstein
Der Obernburger Mühlstein wird seit 1989 vom Arbeitskreis Kul-Tour, dem Trägerverein der Kabarettbühne in der Obernburger Kochsmühle, ausgelobt. Parallel dazu erhält das Publikum die Chance, seinen Favoriten zu wählen. Den ersten Obernburger Mühlstein erhielt Bernd Vogel, Publikumsliebling wurde damals Günter Grünwald. 15 Kilogramm wiegt der Preis, den eine fünfköpfige Fachjury vergibt. Bisher waren sich Publikum und Jury bei der Bewertung insgesamt zehnmal einig. Aktuell bei Harry und Jakob, die mit ihrem gereimten Schlagabtausch sowohl bei den Gästen als auch bei den Fachjuroren die meisten Punkte sammelten. Sie werden im kommenden Jahr ihr vollständiges Programm in der Kochsmühle zeigen und die Moderation beim nächsten Kabarettwettbewerb um den Obernburger Mühlstein übernehmen.


 © Text und Fotos: Ruth Weitz

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